Aus IPPNW-Forum 95/05

Gesundheitspolitik beim Sozialforum

Einstieg zur gemeinsamen Diskussion

Nachdem Angelika Claussen (IPPNW) als Moderatorin eingangs Zugangsrationalität, Versorgungsqualität und Finanzierbarkeit als wichtige Parameter für die Entwicklung des Gesundheitswesens benannt hatte, identifizierte Klaus Dörner (Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie) gegenläufige Tendenzen der Entwicklung der letzten 25 Jahre: auf der einen Seite Schwächung der gesellschaftlichen Kohärenz und Ausweitung ökonomischer Interessen z.B. der Pharmaindustrie, bis hin zur Definitionsmacht über Diagnosen, andererseits aber auch die zunehmende Zahl freiwilliger Helfer, so dass schon von der Entstehung eines "dritten Sozialraums der Solidarität" gesprochen werden könne. Angesichts zunehmender bürokratischer Gängelungen des Arzt-Patienten-Verhältnisses konnte er als ermutigendes Gegenmodell von einem Freiburger Projekt berichten, bei dem niedergelassene Ärzte gemeinsam mit ihren Patienten in direkten Austausch über angemessene Versorgung getreten sind. Wulf Dietrich (Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte) betonte die Komplexität der gegenwärtigen Diskussion, bei der frühere Kritiker sich zunehmend veranlasst fühlen, das bestehende Gesundheitssystem gegen die neoliberalen Abrisstendenzen in Gefolge der Entstaatlichung in Schutz zu nehmen; gleichzeitig seien aber auch die aktuellen Ansätze zu mehr Standardisierung und Qualitätssicherung in der ambulanten Versorgung nicht pauschal abzulehnen. Tobias Michel (Ver.di-Betriebsrat und attac-Aktivist) berichtete über die attac-Kampagnen gegen wachsende Armut und soziale Ungleichheit, die sich auch im Zugang zu medizinischer Versorgung zunehmend zeigt. An Hand seiner Arbeitsstelle, des privaten Alfried-Krupp-Krankenhauses, gab er Beispiele für die Kommerzialisierung der Medizin, und warnte vor Tendenzen zur kostensparenden Patientenauswahl im stationären Sektor.

Die Veranstaltung konnte nicht mehr als einen Einstieg zur weiteren gemeinsamen Diskussion liefern; als Konsens war festzuhalten, dass der direkte Austausch zwischen den Beschäftigten im Gesundheitswesen, den Patienten , aber auch den Versicherten als Finanziers vorangebracht werden sollte. Für das Gewicht der ärztlichen Sichtweise ist es dabei wichtig, eine klare Trennung zwischen (legitimen) ökonomischen Eigeninteressen und den Belangen einer guten Gesundheitsversorgung transparent vorzunehmen.

Matthias Jochheim

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