IPPNW-Forum 119/09

Mein Nabel sitzt nicht richtig

Treffen des Arbeitskreises Medizin und Gewissen

01.10.2009 Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist ein sehr sensibles und komplexes Thema. Das ist  jedem praktizierenden Mediziner bewusst. Sie wird zumeist verkompliziert, wenn die Teilnehmer eines Arztgesprächs unterschiedliche Sprachen sprechen und sich verschiedener Religionen und  Kulturen zugehörig fühlen. Statistisch kann der Umgang mit jedem 5.-10. Patienten dadurch beeinflusst sein.

Einen Überblick über die heterogene große Gruppe der „Zugewanderten“ zu  bekommen, war das erste Anliegen des Arbeitskreistreffens im Juni dieses Jahres. „Asylbewerber, Flüchtlinge, Migranten, Illegale, Ausländer, ehemalige Gastarbeiter“ – der Begrifflichkeiten gibt es viele. Gilt aber nun die deutsche Staatsbürgerschaft als Kriterium oder die Frage nach der eigenen Migrationserfahrung?

Schon seit einiger Zeit sind Bürger mit Migrationshintergrund ein wichtiger Faktor in unserem Sozial- und Gesundheitssystem. Aber erst in den letzten Jahren wurde in großangelegten Studien untersucht, wie es um ihren Gesundheitszustand und den Zugang zum Gesundheitssystem bestellt ist. Das Fazit klingt zunächst positiv – es gibt keine signifikanten Unterschiede zwischen Deutschen und Migranten in puncto Gesundheitszustand. Ein noch ungeklärtes Phänomen – der „healthy migrant effect“ – führt trotz höherer Raten bestimmter Infektionskrankheiten und psychischer Erkrankungen zu einer gleichmäßigen Verteilung der Gesundheitsrisiken.

Doch es gibt eben auch ganz erhebliche Unterschiede darin, inwiefern Gesundheitsförderungs- und Präventionsangebote angenommen, wie Krankheit und ihre Ursachen reflektiert werden und welche Rolle im Diagnostik- und Behandlungsprozess der Arzt spielt.

Der Zugang zu unserem Gesundheitswesen ist für Migranten erschwert, sowohl aufgrund der organisatorischen, als auch durch sprachliche Barrieren. Zwar wurde bereits auf der 72. Gesundheitsministerkonferenz 1999 festgelegt, dass jeder Patient ein Recht darauf hat, in seiner Muttersprache und verständlich über seinen Zustand und Behandlungsmaßnahmen aufgeklärt zu werden. Ärzte im Krankenhausalltag können dazu aber nur resigniert mit den Schultern zucken. An einigen Häusern gibt es die Möglichkeit, Aufklärungsbögen in unterschiedlichen Sprachen auszudrucken. Doch die anstehenden Fragen und Zweifel lassen sich oft nur mit Hilfe sprachkundiger Angehöriger oder Angestellter des Krankenhauses klären – oder eben nicht. Dolmetscherdienste stehen zwar in größeren Städten zu Verfügung, aber die Kostenübernahme ist viel zu häufig nicht geklärt.

Neben diesen systemimmanenten Problemen ging es bei dem Treffen des Arbeitskreises jedoch auch darum, ganz konkret erlebte Fälle und Situationen aus dem Arbeitsalltag zu reflektieren und Handlungsweisen zu hinterfragen. So wurden zum Teil ermutigende individuelle Lösungsmodelle, z.B. eine Internetseite mit grundlegenden ärztlichen Türkisch-Vokabeln vorgestellt.

Es wäre sicherlich sinnvoll, Weiterbildungen zum „Kultursensiblen Umgang mit muslimischen Patienten“ anzubieten. Doch was das konkrete Problem eines Menschen ist, der dem Arzt mit verzweifelter Miene mitteilt, sein Nabel säße nicht richtig, kann nur mit Einfühlungsvermögen und diagnostischer Sorgfalt herausgefunden werden. Eine solche Darstellung körperlicher Symptome, die häufig zugrundeliegende psychische Probleme verdeutlichen, benutzen verstärkt Patienten aus dem türkischen Kulturkreis. Man sollte daher  mit  Diagnostikmarathons vorsichtig sein - sie könnten die Folge sprachlicher Ohnmacht sein.

Es gibt bereits eine Vielzahl von Initiativen, wie die MiMi („Mit Migranten für Migranten“) des Ethno-Medizinischen-Zentrums Hannover, bei der medizinische Laien mit Migrationshintergrund geschult werden, um Migranten ein Grundverständnis der Entstehung grundlegender Krankheiten und der Strukturen unseres Gesundheitssystems zu vermitteln. Es gibt die Kampagne „achten statt verachten“ der IPPNW zur medizinischen Versorgung von Menschen ohne Papiere in Deutschland und Zentren zur Betreuung von Flüchtlingen mit posttraumatischen Belastungsstörungen. Der einzelne Arzt muss also kein einsamer Rufer in der Wüste sein, sondern kann viel erreichen durch einen bewussten Umgang mit Patienten, die wegen ihres Nabels sicherlich zuallerletzt eine Überweisung zum plastischen Chirurgen benötigen.

Der nächste Arbeitskreis Medizin und Gewissen findet im November 2009 statt und freut sich über Interessenten und Themenvorschläge.

 

Ulrike Trahorsch, AK Medizin und Gewissen

Kontakt: ullitrahorsch(at)yahoo.de oder ivonne.johann(at)web.de

zurück

Navigation