12.05.2016 Eine adäquate medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland findet nicht statt. Selbst ihre Behandlung im akuten Krankheitsfall ist derzeit nicht gewährleistet. Vielmehr ist der Zugang zu medizinischer Behandlung für Kinder und Jugendliche ohne Aufenthaltsstatus abhängig von ehrenamtlichem Engagement und Spendengeldern. Das durch zahlreiche Hilfseinrichtungen deutschlandweit geschaffene alternative Versorgungsangebot kann den vorhandenen Bedarf aber insbesondere im akuten Krankheitsfall nicht abdecken. Das ist das Ergebnis der explorativen Studie "Der Zugang von Kindern ohne Papiere zu medizinischer Versorgung" von Wiebke Bornschlegl.
"Die lobenswerte und wichtige Arbeit der Hilfsorganisationen stellt keinen adäquaten Ersatz der originär staatlichen Aufgabe medizinischer Versorgung von Kindern und Jugendlichen ohne Papiere dar", kritisiert der Kinderarzt und stellvertretende IPPNW-Vorsitzende Dr. Alex Rosen. Die IPPNW fordert die Bundesregierung auf, ihnen kostenlosen, niedrigschwelligen und diskriminierungsfreien Zugang zu medizinischer Versorgung zu gewährleisten, zum Beispiel durch einen anonymen Krankenschein oder die anonyme Chipkarte. Gewährleistet werden müssten sowohl Impfungen als auch U-Untersuchungen und weitere Präventionsmaßnahmen, die Behandlung chronischer Erkrankungen ebenso wie akute und geplante Behandlungen. Ein Leben in Gesundheit ist ein elementares Grundrecht aller Menschen – unabhängig von ihrem Pass.
Spätestens seit Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur Kinderrechtskonvention durch Beschluss des Bundeskabinetts im Mai 2010 achtet und schützt die Bundesrepublik Kinderrechte ohne Vorbehalt. Der Rücknahmebeschluss signalisiert den Vorrang des Kindeswohls vor jeglicher staatlicher Tätigkeit. Allerdings ist eine Ausweitung auf den medizinischen Bereich bisher nicht erfolgt. Vorbildcharakter könnte hier die Abschaffung der Meldepflicht für Kinder ohne Aufenthaltsstatus für öffentliche Schulen und Kindergärten durch den Deutschen Bundestag im Juli 2011 haben.
Schätzungen des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts zufolge leben zwischen 200.000 und 600.000 Menschen ohne Papiere in Deutschland. Die Zahl der Kinder ohne Papiere bewegt sich laut einer aktuellen Studie vermutlich zwischen einigen Tausend und einigen Zehntausend. Fundierte Schätzungen zu Minderjährigen ohne Aufenthaltsstatus gibt es nicht. Kinder ohne Geburtsurkunde sind in besonderer Weise rechtlich ungeschützt. Ihre Eltern nehmen die staatliche Gesundheitsversorgung für diese Kinder oft nur im äußersten Notfall in Anspruch, was dramatische Folgen haben kann, wenn behandlungsbedürftige Erkrankungen verschleppt und nicht adäquat therapiert werden.
Die IPPNW fordert in diesem Zusammenhang die Abschaffung der behördlichen Übermittlungspflicht nach § 87 Aufenthaltsgesetz – zumindest aber die Ausnahme von Minderjährigen hiervon. Ordnungspolitische Maßnahmen haben im Gesundheitssystem keinen Platz und widersprechen dem in der Kinderrechtskonvention festgeschriebenen Vorrang des Kindeswohls.
Sie finden die Studie "Der Zugang von Kindern ohne Papier zu medizinischer Versorgung in Deutschland" unter kurzlink.de/Kinder_ohne_Papiere
Kontakt: Angelika Wilmen, Pressesprecherin der IPPNW, Tel. 030-69 80 74-15, Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Körtestr. 10, 10967 Berlin, Email: wilmen@ippnw.de, www.ippnw.de
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