Dezentrale Energiegewinnung - Eine Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse

Energieautonomie

In der Schule lernt man, es gehe in Politik und Demokratie darum, Regelungen für das Zusammenleben der Bevölkerung zu finden. Es werden "Gesetze" gemacht - das klingt nach allem, nur nicht nach Geld. Wer die politische Praxis aufmerksam verfolgt, muss hingegen feststellen, dass es in der Politik fast immer um das "Verteilen von Geld" bzw. um das Steuern der Geldströme geht. Auch in der Energiepolitik geht es vordergründig nur um Technologien, vor allem aber auch darum, in welche Taschen die reichlichen Erträge dieses existentiell notwendigen Sektors fließen. Mit dem Stromeinspeisegesetz - das später vom Erneuerbare-Energien-Gesetz abgelöst wurde - hat der Deutsche Bundestag eine bemerkenswerte Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse angestoßen: Statt Großkraftwerke der Energiekonzerne zu begünstigen zwangen sie die Konzerne, mit einem Teil der reichlich sprudelnden Stromverkaufserlöse Kleinst-Kraftwerke in Bürgerhand zu finanzieren.

Seit mehr als 100 Jahren schon versuchen sich Energiekonzerne wie RWE ein immer größeres Stück vom lukrativen Energiemarkt anzueignen. RWE lieferte sich hierbei heftige Auseinandersetzungen mit den Städten und Gemeinden, um die öffentliche Stromversorgung übernehmen zu können. Schritt für Schritt wurden Stadtwerke "geschluckt". Die Zentralisierung, Privatisierung und Monopolisierung der Energiewirtschaft nahm ihren Lauf. Immer mehr große und zentrale Kohle und Atomkraftwerke und ein Verbundnetz wurden errichtet, bis rund 90 Prozent des Stroms in Großkraftwerken der großen "Energiemonopolisten" erzeugt wurde. Maßgeblich dazu beigetragen hatte auch die Deutsche Bank, die für sich und für die großen Energiekonzerne der dezentralen, kommunalen Stromerzeugung den Kampf angesagt hatte.

Die Macht der deutschen Energiewirtschaft

Mit der Marktbeherrschung einher ging ein ungeheurer Zuwachs an politischer Macht, die zuletzt augenfällig darin gipfelte, dass der Energie und Atomkonzern E.On seinen Manager Werner Müller für ein paar Jahre als Wirtschaftsminister in die Regierung Schröder "schickte" und dieser dort den der Industrie passenden "Atomkonsens" maßgeblich mit herbeiführte. Die wirtschaftliche Macht, dieser ungeheuerliche Einfluss auf politische Entscheidungen, hatte in den 1970er und 1980er Jahren dazu geführt, dass es in der Anti-Atom und Ökologie-Bewegung starke Bestrebungen für eine "Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energiewirtschaft" gab. Man wollte die Stadtwerke wieder zu den zentralen Akteuren einer Energiewende machen und zugleich dafür sorgen, dass die Bevölkerung über den Kurs in der Energiepolitik entscheiden kann.

Es ging erstens um die ökologischen Vorteile, zweitens um eine Demokratisierung der Gesellschaft und drittens darum, dass die finanziellen Erlöse aus dem "Stromverkauf" nicht in die Konzernkassen, sondern zurück in die Region und zu den Menschen fließen sollten. Auch wenn der ökologische Aspekt in der öffentlichen Wahrnehmung dominierte, ging es doch mindestens ebenso sehr um "demokratische Mitbestimmung" und um den "sozialen" Aspekt, wonach die Geldströme nicht in ferne Konzernkassen abfließen sollten.

Ein zunächst unscheinbares Gesetz mit großen Folgen

Im Dezember 1990 kam es dann - auf Basis einer parteiübergreifenden Initiative - im Deutschen Bundestag in überraschender Weise zur Verabschiedung des Stromeinspeisegesetzes: Die Energiekonzerne wurden damit gezwungen, Strom aus kleinen, dezentralen erneuerbaren Energieanlagen nicht nur ins eigene Stromnetz zu übernehmen, sondern den Anbietern kostendeckende Preise dafür zu bezahlen. Vermutlich deswegen, weil es nicht um eine "Rekommunalisierung" ging, sondern kleine private Akteure zu Anlagenbetreibern gemacht wurden, konnten auch viele CDU-Abgeordnete dem Gesetz zustimmen, ohne ideologisch motiviert Bauchschmerzen zu bekommen.

Die Folgen dieses Gesetzes wurden vermutlich von den meisten erheblich unterschätzt: Es kam zu einem beispiellosen Boom insbesondere beim Ausbau verhältnismäßig "kleiner" Windkraftanlagen. Große Wasserkraftwerke wurden ausdrücklich nicht begünstigt, um "Mitnahmeeffekte" der Energiekonzerne zu verhindern. Mit diesem Gesetz, das später durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ersetzt und modifiziert wurde, kam es aber nicht nur zum Ausbau erneuerbarer Energieanlagen.

Die Geldströme in die Regionen lenken

In der öffentlichen Wahrnehmung wird bis heute - zu Unrecht - weitgehend ignoriert, dass es beim Ausbau dieser dezentralen Anlagen keineswegs nur um neue Techniken und den Aspekt der Erneuerbarkeit und Umweltfreundlichkeit dieser Energiequellen geht. Gesellschaftlich mindestens ebenso bedeutsam ist der Aspekt, dass mit diesen Anlagen gewaltige Geldströme umgelenkt werden: Die Einnahmen aus dem Stromverkauf fließen nicht mehr nur in ferne Konzernkassen, sondern zunehmend in Bürgerhand zurück. Der Geldkreislauf wird so vergleichsweise eng geschlossen. Betreiber dieser Anlagen sind nämlich eine sehr große Zahl an Personen und Institutionen und nicht mehr nur vier große Energiekonzerne.

Da aber die Verfügbarkeit über Geld in dieser Gesellschaft praktisch gleichzusetzen ist mit tatsächlicher Macht, hat der Deutsche Bundestag 1990 eine Entwicklung der schrittweisen Entmachtung der Energiekonzerne eingeleitet! Und weil Geldströme in dieser Gesellschaft weiterhin bedeuten, dass "Existenzen" und Beschäftigung entstehen - konkret zum Beispiel für Installation, Betrieb und Wartung der Anlagen - können zunehmend mehr Menschen breit gestreut "in der Fläche" und gerade auch in strukturschwachen, ländlichen Regionen von diesen dezentralen Energiesystemen leben.

Der Unterschied zwischen Kosten und Preisen

Insofern wäre es auch ein fundamentaler Fehler zu glauben, dass die Energiegewinnung vor allem billig sein müsste. Die großen Energiekonzerne reden der Bevölkerung zwar seit Jahrzehnten ein, dass sie davon profitieren würde, wenn in Großkraftwerken die Kilowattstunde günstiger erzeugt werden kann als in Kleinanlagen. Dabei nutzen die Konzerne aber nur das weit verbreitete ökonomische Unwissen über den Unterschied zwischen Kosten und Preisen aus. Denn auch wenn die "Stromgestehungskosten" in Großkraftwerken teilweise relativ gering sein mögen, hat die Bevölkerung überhaupt nichts davon, wenn die Konzerne eine satte Profitrate bzw. "Rendite" draufsatteln und der Preis für die Endkunden hochgeschraubt wird. Gerade dann, wenn die Konzerne so mächtig sind, dass die staatliche Strompreisaufsicht zur Farce verkommen ist, kann selbst bei einer billigen Stromerzeugung in Großkraftwerken der Strom für die Bevölkerung unverhältnismäßig teurer werden.

Klein und dezentral statt groß und gefräßig

Es wäre natürlich naiv, würde man die dezentralen Energiesysteme undifferenziert glorifizieren: Natürlich führt nicht jede lokale Energiegewinnung zwangsläufig zu einer lokalen Verteilung des "Reichtums". Genauso, wie Video-Player von wenigen multinationalen Herstellern zentral hergestellt und vertrieben werden können, kann auch bei solaren Kleinstgeräten wie Solarmodulen das Geld postwendend wieder aus der Region abfließen, ohne lokal die Existenz anderer "wirtschaftlicher Akteure" zu sichern. Natürlich fördert es nicht die lokale Wirtschaftskraft, die wirtschaftliche Verflechtung und somit die Menschen vor Ort, wenn solare Energiesysteme über Kredite von Großbanken vorfinanziert werden und die Erlöse aus dem Stromverkauf vollständig für den Kapitaldienst postwendend wieder aus der Region abfließen. Natürlich können in dieser heutigen Weltwirtschaft mächtige Konzerne innovative, kleine Solarfirmen aufkaufen und mit diesen die Patente etwa auf fortschrittliche Solarzellen monopolisieren und - ebenso wie bei patentiertem Saatgut – über starke Patentrechte die Geldströme wiederum zentral auf sich konzentrieren.

Und natürlich kann ein von den Konzernen, von IWF und Weltbank kontrollierter Staat jederzeit per Gesetzgebung "den Hahn zudrehen" und das schöne Erneuerbare-Energien-Gesetz in ein Gesetz umformen, das vor allem zentrale Strukturen der Großkonzerne fördert. Letzteres ist längst ein laufender Prozess, indem noch die alte und schwache rot-grüne Bundesregierung die Förderung dezentraler Binnen-Windkraftanlagen zugunsten zentraler Off-Shore-Windparks im Meer änderte, auch wenn diese Technik bis heute alles andere als ausgereift ist. Auch sitzt das Geld von uns Steuerzahlern bei der politischen und wirtschaftlichen Elite lockerer, wenn es darum geht, großen Unternehmen solare Großkraftwerke in Spanien oder in der Sahara zu finanzieren, als wenn es darum geht, lokale Solaranlagen zu fördern, deren Erträge der Bevölkerung vor Ort zugute kommen.

Die gesellschaftliche Dynamik der erneuerbaren Energien

Dennoch: Ebenso wie vor Jahren den meisten die Phantasie dafür fehlte, dass ein Stromeinspeisegesetz zu einem bemerkenswerten Windenergie-Boom führen könnte, fehlt heute vielfach noch die Vorstellungskraft dafür, welche gesellschaftspolitische Dynamik ein weiterer konsequenter Ausbau eines dezentralen solaren Energiesystems entwickeln kann.

Wenn neben dem Betrieb dezentraler Anlagen auch die Herstellung erneuerbarer Energiesysteme - soweit ökologisch sinnvoll - sowie der Netzbetrieb relativ dezentral und "in Bürgerhand" erfolgt, kann verhindert werden, dass die Verfügungsgewalt über diese existentiell wichtigen Produktionsstätten der Bevölkerung entgleitet. Und: Wenn neue lokale erneuerbare Energiesysteme weniger über Bankkredite vorfinanziert werden, sondern vielmehr aus den laufenden Erträgen aus dem "Energiegeschäft" bezahlt werden, dann fließt das Geld postwendend wieder vor Ort der eigenen Region zu, statt in spekulativen Geldgeschäften der Deutschen Bank zu verschwinden.

Die weitere Förderung und Forcierung einer dezentralen solaren Energiewirtschaft stellt eine der wesentlichen gesellschaftspolitischen Chancen angesichts der Globalisierung dar. Bemerkenswert daran ist, dass die etablierte Politik auf Basis einer parteiübergreifenden Initiative diesen betont dezentralen Weg begonnen hat, möglicherweise ohne sich der zahlreichen gesellschaftlich positiven Implikationen vollständig bewusst zu sein. Die Bundesregierung hat jetzt - vermutlich angesichts des Erfolgs dieses Kurses - erneut angekündigt, die konkreten Konditionen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf den Prüfstand zu stellen, um diese vermutlich zu verschlechtern. Bei der kritischen Prüfung dieser zu erwartenden Änderungen sollte man wie üblich den schönen, blumigen Worten keinen Glauben schenken. Man sollte die CDU vielmehr daran erinnern, dass sie 1990 – möglicherweise "aus Versehen" - einmal etwas ungewöhnlich Positives mit auf den Weg gebracht hat und darauf bestehen, hier ausnahmsweise einmal ein "weiter so" und ein "noch besser so" zu praktizieren.

Von Henrik Paulitz


Literatur:

Peter Hennicke et. al: "Die Energiewende ist möglich - Für eine neue Energiepolitik der Kommunen - Strategien für eine Rekommunalisierung", S. Fischer Verlag, 1985 (vermutlich vergriffen).

Henrik Paulitz: "Manager der Klimakatastrophe - Die Deutsche Bank und ihre Energie und Verkehrspolitik", Verlag die Werkstatt, 1994.

Henrik Paulitz: "Solare Netze - Neue Wege für eine klimafreundliche Wärmewirtschaft", Verlag die Werkstatt, 1997.

Hermann Scheer: Solare Weltwirtschaft - Strategie für die ökologische Moderne, Kunstmann Verlag, 1999.

Hermann Scheer: Energieautonomie - Eine neue Politik für Erneuerbare Energien, Kunstmann Verlag, 2005.

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Ansprechpartner*in


Patrick Schukalla
Referent Atomausstieg, Energiewende und Klima
Email: schukalla[at]ippnw.de

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Materialien

Titelfoto: Stephi Rosen
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