Pakistans Atomprogramm

Fast alles, was Pakistan im Atombereich unternimmt, ist aus dem Wunsch heraus entstanden, Indien militärische Macht entgegen zu halten. Pakistans Atomenergiekommission (PAEC) begann ihre Arbeit 1954. Der erste Forschungsreaktor ging 1965 in Betrieb und das erste kommerzielle Atomkraftwerk 1970.

 

Das pakistanische Atomprogramm kämpfte von Anfang an mit Personalproblemen. Pakistan verfügte über zu wenig ausgebildete Wissenschaftler. Die Atomenergiekommission sendete mehr als 600 Wissenschaftler und Ingenieure zur Ausbildung in die USA, nach Kanada und Westeuropa. Mitte der sechziger Jahre wurde Pakistan dank der großzügigen Hilfe der Länder, die auch Indien unterstützten, stolzer Besitzer mehrerer Atomforschungslabore.

 

Nach dem Krieg mit Indien im Jahr 1965 drängten viele Politiker, Journalisten und Wissenschaftler auf die Entwicklung eigener Atomwaffen für Pakistan. Zuerst versuchten die Wissenschaftler, Wiederaufarbeitungsanlagen von Frankreich und Belgien zu kaufen. Frankreich war bereit zu verkaufen, wurde jedoch von den USA so unter Druck gesetzt, dass es schließlich ablehnte. Doch einige Wissenschaftler schafften es, eine Ausbildung in Wiederaufarbeitungs-Technologie in Belgien zu bekommen. Nach ihrer Rückkehr nach Pakistan in den frühen achtziger Jahren bauten sie eine kleine Wiederaufarbeitungsanlage. Mit abgebrannten Brennelementen aus einem Atomreaktor könnte diese Anlage genug Plutonium für zwei bis vier Atomwaffen jährlich herstellen.

 

Als zweite Methode untersuchten die pakistanischen Wissenschaftler Uran-Anreicherungstechniken. Das Wissen brachte der Experte in Metallurgie A. Q. Khan, der Chefkonstrukteur der pakistanischen Atomwaffen wurde, aus einer Anreicherungsanlage in den Niederlanden mit. Er nahm geheime Entwürfe und Lieferantenlisten von Komponenten aus Westeuropa mit. Viele Firmen waren bereit, gegen Exportgesetze zu verstoßen. 1979 wurde eine kleine Menge Uran erfolgreich angereichert, und seitdem stellt Pakistan jährlich genug hochangereichertes Uran (HEU) her, um vier bis sechs Atomwaffen zu bauen.

 

Da die Flugzeit einer mit einem Atomsprengkopf bestückten Rakete von Indien nach Pakistan und umgekehrt nur drei bis fünf Minuten beträgt, ist die Gefahr eines aus Versehen ausgelösten Atomkrieges zwischen den Nachbarstaaten sehr hoch.

 

Aufgrund dieser kurzen Zeitspanne und der Menge des Arsenals, das durch einen Schlag möglicherweise zerstört werden könnte, ist auch die Gefahr eines Erstschlags erhöht. Ein Frühwarnsystem existiert nicht.

 

Im Juni 1962 wurde die erste Kurzstreckenrakete getestet. Bis heute haben sich die pakistanischen Wissenschaftler bei rund 2.500 Versuchsstarts verschiedener Raketentypen viel Wissen über Raketentechnologie angeeignet. Dabei wurden sie von China unterstützt. Der Vorwurf, China hätte verschiedene Flugkörper an Pakistan weitergegeben, wird von beiden Seiten heftig dementiert. Bis 1984 hatte Pakistan seine erste Bombe entwickelt, die von einem Jagdbomber (F-16) abgeworfen wird. Die USA verkauften Pakistan 36 Kampfflugzeuge, die ohne aufzutanken über eine Reichweite von 1.600 Kilometer verfügen.

 

1989 wurde eine Kurzstreckenrakete gestartet. Die erste Mittelstreckenrakete basierte auf einem nordkoreanischen Modell. Zuletzt wurde die Ghauri-III-Langstreckenrakete mit einer Reichweite von bis zu 3.000 Kilometern gestartet. Pakistan arbeitet an weiteren Raketentypen mit Reichweiten von über 4.000 Kilometern.

 

Insbesondere wegen des Kriegs in Afghanistan und der Unterstützung für die Taliban durch Teile der pakistanischen Bevölkerung sollte die Sicherheit der pakistanischen Atomwaffen der Welt große Sorgen bereiten. Die Atomsprengköpfe haben kein elektronisches Code-Sicherungssystem zur Schärfung der Gefechtsköpfe, wie man es von den US-amerikanischen und russischen Atomwaffen kennt. Im Prinzip kann jeder, der gerade im Besitz von Atomwaffen ist, diese ungehindert einsetzen. Das Spaltmaterial aus Uran ist zwar in "Friedenszeiten" nicht in den Sprengköpfen montiert, und Bombengehäuse und Spaltmaterial werden an zwei voneinander getrennten Orten aufbewahrt, aber dieser Minimalschutz kann in kurzer Zeit aufgehoben werden.

 

Pakistanischen Wissenschaftlern wird vorgeworfen, bereits Atomgeheimnisse und -material an Terroristen weiter gegeben zu haben. Zwei hochrangige Wissenschaftler, die früher in der PAEC arbeiteten, wurden verhaftet und über ihre Verbindungen zu Al Qaida verhört. Sie sind angeblich Talibansympathisanten, gelten beide als Experten für Plutoniumtechnologie, und einer von ihnen wurde in Belgien in den sechziger Jahren ausgebildet.

 

Die aktuelle Zahl der Atomwaffen wird auf Grund der zur Verfügung stehenden Menge an hoch angereichertem Uran (HEU) auf 23 bis 29 Systeme geschätzt. Dabei nimmt man an, dass pro Bombe rund 20 Kilo Spaltmaterial verwendet werden. Pakistan hat nach eigenen Angaben im November 2006 eine Rakete getestet, die auch Atomwaffen tragen kann. Dem Außenministerium zufolge wurde das Nachbarland Indien zuvor über den Test informiert. Die verwendete Rakete vom Typ Hatf V hat eine Reichweite von ca. 1300 Kilometern. Zur Begründung für den Test wurde die Überprüfung technischer Daten angegeben. Der Raketentyp sei bereits zuvor im Einsatz gewesen.

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Ansprechpartner*innen


Xanthe Hall

Abrüstungsreferentin
Expertin in Fragen zu Atomwaffen
Tel. 030 / 698074 - 12
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