Welche Konsequenzen hätte ein Luftangriff auf den Iran?

Expertenstudien zum Thema

Hohe Zahl ziviler Opfer
Die US-Sektion der IPPNW (PSR) untersucht in der Studie „War is not the Answer“ die Folgen für die Gesundheitsversorgung eines Angriffs auf den Iran. Diese hängen von vielen schwer abzuschätzenden Faktoren ab. (Wie viele Ziele werden angegriffen? Werden bunkerbrechende Atombomben eingesetzt?) Einen konkreten Anhaltspunkt bieten die Erfahrungen aus dem Winter 2003. Damals wurde die Stadt Bam von einem Erdbeben erschüttert. 30.000 Menschen starben sofort, weitere 30.000 benötigten sofortige medizinische Hilfe. Trotz erheblicher Investitionen in die medizinische Gesundheitsversorgung in der Vergangenheit blieb der Iran auf internationale Hilfe angewiesen, die dann von über 40 Nationen geleistet wurde. Eine Reihe von Luftangriffen gegen Hunderte von Zielen im Iran könnte mit dem Erdbeben vergleichbare Effekte erzeugen. Im Falle eines Krieges wäre allerdings erst nach Abschluss aller Angriffe mit auswärtiger Hilfe zu rechnen. Abhängig von der Zerstörung der Straßen-, Wasser-, Stromversorgung und der radioaktiven Verseuchung würde die Zahl der Menschen, die an sekundären Kriegsfolgen sterben, erheblich sein. Ein Angriff auf den Iran würde unfassbares menschliches Leid bedeuten, ohne das eigentliche Ziel zu erreichen.

Destabilisierung der Region
Wie würde der Iran zurückschlagen? Die Situation im Irak weiter destabilisieren, die Hisbollah im Libanon dazu aufrufen, Israel anzugreifen, Raketenangriffe gegen die US-Verbündeten, den Irak und Israel starten, Ölexporte aus der Golfregion unterbrechen - jede militärische Reaktion des Irans würde die menschliche Tragödie weit über die Grenzen des Irans hinaustragen und die Regionen rund um den Mittleren Osten destabilisieren. Außerdem würde sich der Iran endgültig aus dem Nichtverbreitungsvertrag zurückziehen.
(PSR-Studie „War ist not the Answer“, Martin Butcher, März 2007)

Beschleunigung des Atomprogramms
Die Studie "Would Air Strikes Work?" der britischen Forschungsstelle "Oxford Research Group" kommt zu der  Schlussfolgerung, dass ein militärischer Angriff auf das iranische Atomprogramm kontraproduktiv wäre. Der Iran würde nur noch mehr dazu angestachelt, Atomwaffen zu entwickeln. Das Gleiche ist beim israelischen Angriff auf den irakischen Atomreaktor bei Osirak geschehen. Als Folge baute Saddam Hussein ein Atomwaffenprogramm auf. Der britische Nuklearphysiker Frank Barnaby glaubt, dass Angriffe gegen den Iran das Atomprogramm beschleunigen würden: von einem breitbasierten Dual-Use-Programm hin zu einem entfesselten Crash-Programm ohne internationale Beschränkungen.
(Would Air Strikes Work?, Frank Barnaby, März 2007)

Zeit für Diplomatie
Der Bericht "Time to Talk" von Crisis Action und anderen NGOs, darunter auch die IPPNW, fordert Diplomatie als die einzige denkbare Option. Ein militärischer Angriff auf den Iran würde nicht nur die Region weiter destabilisieren, er würde auch dem Terrorismus weiteren Zündstoff liefern, den Ölmarkt auf den Kopf stellen, eine Wirtschaftskrise auslösen, eventuell große Umweltschäden durch radioaktive Verseuchung verursachen, ganz zu schweigen von den Folgen für die Menschen im Iran. Es ist illusorisch zu denken, dass ein solcher Angriff schnell zum militärischen Erfolg führen würde. Er wäre der Beginn eines ausgedehnten regionalen Krieges, vielleicht sogar eines Weltkrieges.
(Time to Talk, The case for diplomatic solutions on Iran), Oxford-Research-Group, Medact, u.a., Februar 2007)

Die US-Sektion der IPPNW hat folgende Lösungsvorschläge für den Iran-Konflikt: Sofortige Verhandlungen anbieten; das iranische Atomwaffenprogramm in Zusammenhang mit multilateralen Verhandlungen nach einer Atomwaffenfreien Zone Mittlere Osten stellen; das globale Nichtverbreitungsregime stärken (warum wollen die USA dem Iran Atombomben vorenthalten, wenn sie selbst ihr Atomwaffenprogramm modernisieren und qualitativ ausbauen?); die IAEA-Schutzvorkehrungen und –Durchsetzungskraft stärken. Wir haben schätzungsweise 5-10 Jahre bevor der Iran Atomwaffen entwickeln kann. Das gibt uns eine Zeitfenster, in dem die Krise durch diplomatische und politische Mittel gelöst werden kann.

Weiter hinauf in der Eskalationsspirale?
Christoph Bertram, ehemaliger Leiter des Forschungsinstituts Stiftung Wissenschaft und Politik, schrieb am 18. Mai 2008 im Tagesspiegel, dass ein Strategiewechsel im Umgang mit dem Iran von Nöten sei. „In sechs Jahren ist es nicht gelungen, das iranische Atomprogramm zu stoppen. Das Gegenteil ist eingetreten“, so Bertram. Die bisherige Strategie habe bisher nur die Befürworter der Bombe gestärkt. Er schlägt vor, dass man sich eher an die Tatsachen halten solle und nicht an Spekulationen: z.B. an den Bericht der US-Nachrichtendienste, der aussagt, dass das militärische Programm eingestellt wurde. Und: weil die Sanktionen die Diplomatie blockierten, sollte dieser Weg nicht weiter verfolgt werden. Erfolgversprechender sei, wenn es keine Vorbedingungen für Verhandlungen geben würde. Der Iran habe ein Recht unter Art. IV der NVV die Urananreicherung zu betreiben und sehe dieses Programm als ein Symbol der nationalen Souveränität und Stolzes. Daher werde das Land dieses Programm nie aufgeben wollen. Lieber sollten mehr Kontrollrechte für die IAEO verhandelt und mehr auf die Vorteile der Entspannungspolitik gesetzt werden. Druck und Drohungen würden nur denjenigen helfen, die mehr Repression und Konfrontation suchten und nicht den Moderaten, die gestärkt werden müssten.

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